Schlagzeilen wie „Digitalisierung bedroht heimische Jobs„, „Roboter ersetzen die Hälfte der deutschen Arbeitskräfte“ oder „Droht mit Digitalisierung jedem zweiten Job das Aus?“ prägen vielfach das deutsche Image der Digitalisierung. Anstatt sich vermehrt den umfangreichen Chancen digitaler bzw. digitalisierter Geschäftsmodelle anzunehmen und diese in den Vordergrund zu stellen, wird Digitalisierung offenbar vielfach als Bedrohung wahrgenommen. Ich möchte in diesem Beitrag aufzeigen, wieso Digitalisierung nicht die Bedrohung der deutschen Wirtschaft sein muss, sondern Deutschland jetzt zeigen kann, was es aus dem Versagen in der New Economy gelernt hat.
Not made in Germany: New Economy
Was Facebook, Amazon und Google geschafft haben, ist den Deutschen im Zeitalter der New Economy nicht gelungen:
- StudiVZ war ein kurzzeitiger Versuch, Facebook zu kopieren. Im Jahr 2006 war nicht nur die Idee, sondern sogar das Design von StudiVZ sehr nahe am amerikanischen Original. Doch spätestens beim Versuch, den Adressatenkreis über Studenten hinaus zu erweitern (SchülerVZ, MeinVZ), ist StudiVZ dann endgültig gescheitert.
- Kurzzeitig erfolgreiche Ansätze im Onlinemarktplatzgeschäft – wie jene der Auktionshäuser Alando oder Ricardo – sind heute ebenfalls Geschichte: Während Alando schon 1999 vom großen amerikanischen Bruder eBay aufgekauft wurde, konnte Ricardo für seine Plattform keine Lücke mehr besetzen, weshalb in Deutschland spätestens seit Mitte der 2000er Ricardo für niemanden mehr ein Begriff von Bedeutung gewesen ist. Wozu auch, wenn man alle kaufbaren Dinge dieser Welt inzwischen bei Amazon bekommt und dort sogar wieder verkaufen kann?
- Und welches deutsche Unternehmen könnte es bitte mit Google aufnehmen? Die 1und1, GMX oder die Telekom, bei denen man für E-Mail-Adressen im unteren einstelligen GB-Speicherbereich noch Gebühren zahlen musste? Im Gegensatz zu Google war es diesen Anbietern von E-Mail-Adressen und anderen Onlinediensten wichtiger, das schnelle Geld zu machen, als die Weitsicht zu besitzen, dass die langfristige Kundenbeziehung und die andauernde Entwicklung und Verbesserung tatsächlich nützlicher Produkte der eigentliche Weg zum Erfolg sind und sich nur solche Produkte langfristig monetarisieren lassen.
Die New Economy war in Summe deshalb keine Erfolgsgeschichte der deutschen Wirtschaft (oder Politik). Denn die Arbeitsplätze, die in Folge dieser digitalen Marktrevolution der 1990er und 2000er entstanden sind, befinden sich zum überwiegenden Teil in den USA bzw. werden von amerikanischen Unternehmen weltweit besetzt (siehe z. B. Liste der wertvollsten Unternehmen).
Automobilindustrie: Das Ende einer deutschen Cash Cow
Doch zum Glück gibt es ja die deutsche Automobilindustrie. Den großen, etablierten Herstellern machte in der Vergangenheit so schnell niemand nichts vor: Während in den USA die Ex-Autostadt Detroit zunehmend verwaist, so floriert die Autostadt Stuttgart noch heute. Aber wie lange noch? Denn alternative Antriebe erhalten durch die jüngste Diesel-Krise erneut massiven Aufschwung.
So arbeitet Elon Musk mit Tesla emsig daran, dass das Image des innovativen Autobauers nicht mehr zwangsweise mit bekannten deutschen Automarken in Verbindung gebracht wird. Doch Musk hat auch deutsche Start-Up-Konkurrenz: Prof. Dr. Günther Schuh der RWTH Aachen betreibt mit „e Go“ aktuell bereits das zweite Elektrofahrzeugbauunternehmen, nachdem er das erste erfolgreich an DHL verkauft hat. Tatsächlich profitieren Musk und Schuh bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen im Gegensatz zu Herstellern von Verbrennungskraftfahrzeugen gleich von unterschiedlichen technischen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren:
- Elektrofahrzeuge sind weniger komplex und damit günstiger zu fertigen wie Verbrennungskraftfahrzeuge. Dies wird sich in naher Zukunft auch im Preis für den Endkunden widerspiegeln. Damit ist sind Musk und Schuh weit weniger abhängig von bestehendem Know-how aus der traditionellen Verbrennungskraftfahrzeugfertigung und kann sein E-Mobilitätskonzept als Green-Field-Projekt planen und umsetzen. Das kombinierte Angebote digitaler Fahrzeugtechnologie (wie z. B. Assistenz- und Unterhaltungssystemen) bietet sich nicht allein aufgrund der neuartigen Fahrzeugarchitektur, sondern auch durch die ständige Verfügbarkeit der Energie aus der Fahrzeugbatterie an.
- Elektrofahrzeuge gehen Hand in Hand mit der aktuell geförderten Abkehr von fossilen Energieträgern. Sie dienen langfristig dazu, Angebots- und Nachfragespitzen im regenerativ gespeisten Stromnetz flexibel auszugleichen und übernehmen so die Funktion eines riesigen Pumpspeicherkraftwerks, das es aktuell nicht gibt, das aber zwingend notwendig ist, um die Energiewende zu bewältigen. Entsprechende Feldtests derartiger Technologien werden derzeit u. a. im Allgäu durchgeführt.
- Aspekte des Umweltschutzes und des steigenden Gesundheitsbewusstseins der Menschen sorgen dafür, dass Abgasemissionen in Städten langfristig nicht mehr toleriert werden. Elektrofahrzeuge können eine saubere Form der Mobilität bieten, deren Nachhaltigkeit und Gesamtökobilanz jedoch nur in Verbindung mit der Energiewende und entsprechender Batterietechnologie (z. B. Glasbatterien) funktioniert.
Sofern also kein radikaler Wandel im Denken aber auch im Handeln der deutschen Automobilkonzerne stattfindet, wird die vermeintliche Arroganz der erfolgsverwöhnten Autobauer dazu führen, dass Deutschland nach der New Economy eine weitere, zumindest passiv-digitale Marktrevolution verpasst, die sie deutlich härter treffen kann, als die vorangegangene. Denn es stehen nicht nur die Arbeitsplätze der etablierten Autohersteller auf dem Spiel, viel mehr geht es auch um die gesamte Palette an Automobilzulieferern.
Mittelstand kann Industrie 4.0 als Chance nutzen
Was also bleibt für die Zukunft der deutschen Wirtschaft? Und wo stecken Deutschlands Potenziale? Industrie 4.0 ist der bislang beste Versuch Deutschlands, im digitalen Zeitalter Land zu gewinnen. Immerhin wollen wir Leitanbieter und Leitmarkt für Industrie 4.0 sein und zahlreiche deutsche Firmen sind tatsächlich bereits dabei, die Marktkonsolidierung in Sachen Industrie-4.0-Standards nicht dem Zufall zu überlassen.
Dies wird ganz aktuell im Markt der IoT-Plattformen deutlich: Das deutsche Familienunternehmen TRUMPF hat so Beispielsweise mit der Ausgründung Axoom gezeigt, dass auch ein Maschinenbauer IoT-Kompetenz aufbauen und gar vermarkten kann. Die jüngste deutsche Mittelstandsallianz ADAMOS möchte gar demonstrieren, dass ein kooperativer mittelständischer Ansatz die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Großkonzernen möglich macht. Denn auch jene sind in Deutschland nicht untätig und wollen mit eigenen IoT-Plattformen Punkten: Siemens mit Mindsphere, Bosch mit seiner IoT-Suite, SAP mit Leonardo. Es zeigt sich also, dass deutsche Unternehmen – ob mittelständisch oder groß – durchaus aktiv den Markt für Industrie 4.0 mitgestalten. Die Entwicklung und Vermarktung dieser Produkte schlägt sich natürlich letztendlich auch in Arbeitsplätzen nieder.
Daneben hat die eigentlich plumpe Art, eine industrielle Revolution mittels politischer Quasi-Verordnung einzuläuten, glücklicherweise dazu geführt, dass eine international bekannte Marke entstanden ist. Ob in Europa, Amerika oder China: Industrie 4.0 ist ein gängiger Begriff für eine digital-gestützte Produktion, die Nutzung von Maschinendaten für Mehrwerte (z. B. Funktionalitäten wie Machine Learning oder Predictive Maintenance) oder für die Verlagerung von Datenspeichern und Softwarelösungen in die Cloud. Deutschland kann die Gunst der Stunde, die dieses Wirtschaftsmarketing bietet, nun in unterschiedlichen Weisen nutzen:
- Deutschland lebt zu nicht geringen Teilen von mittelständischen und Familienunternehmen. Dabei ist der deutsche Mittelstand viel eher mit agilen Fähigkeiten ausgestattet als große Konzerne das sind: Die Entscheidungswege sind in diesen Unternehmen vielfach kürzer und die Abhängigkeit von Geschäftsmodell-Altlasten kann geringer sein. Gerade diese Flexibilität ist gefragt, um Digitalisierung von Produkten und Fertigungsprozessen umzusetzen und nicht länger allein an bestehenden Geschäftsmodellen festzuhalten. Denn „Fail Fast“ ist nicht nur die Devise von Start-ups, sondern auch von Unternehmen wie Google oder Amazon.
- Die Umsetzung von Use Cases zur Steigerung von Effizienz innerhalb von Unternehmen kann dazu genutzt werden, um Know-how aufzubauen, welches schließlich wieder in die Wertschöpfung der eigenen Produkte bzw. Dienstleistungen einfließen kann. Solche in Vorgehen fördert die Authentizität der Unternehmen und qualifiziert sie als Anbieter von Industrie-4.0-Produkten.
- Deutsche Firmen sind als qualitäts- und sicherheitsbewusst, rechtskonform, ordentlich und genau bekannt. Diese Eigenschaften werden zwar mit hoher Qualität („Made in Germany“) in Verbindung gebracht, doch aus einer anderen Perspektive betrachtet, können sie von manch anderen Kulturen auch als fehlende Flexibilität und Agilität im alltäglichen Geschäft wahrgenommen werden. Gerade in der Vermarktung von Industrie-4.0-Produkten kann „Made in Germany“ erneut aufleben: Vor allem in den Punkten Datenschutz und Datensicherheit kann bei Kunden das nötige Vertrauen gewonnen werden, in das vielfach noch intensiviert werden muss, um auf internetbasierte Betriebsmodelle von Maschinen bzw. datengetriebene Geschäftsmodelle umzustellen.
Digitalisierung als Zukunftsmarkt für Deutschland
Deutschland bieten sich aus meiner Sicht deshalb in der jetzigen Zeit große Chancen, eventuell verpasste Gelegenheiten vergangener industrieller Revolutionen nun für sich zu entscheiden. Während Digitalisierung in den letzten 20 Jahren dazu geführt hat, dass gerade in anderen Märkten neue Arbeitsplätze entstehen, kann Deutschland sich eine Position als Leitanbieter von Produkten und Dienstleistungen für das industrielle Internet erarbeiten und damit dem drohenden Arbeitsplatzvakuum der vermeintlich schrumpfenden Automobilindustrie vorbauen.
Die anderen Weltmärkte schauen dabei allerdings nicht nur zu: So verlagert IBM sein Watson-Center nach München, um von der deutschen Marke Industrie 4.0 zu profitieren. Ebenso schläft auch der rote Drache nicht: Auch China investiert jüngst massiv in die Entwicklung datengetriebener Dienste und hat ebenfalls die Weltmarktführerschaft im Sinn. Doch solange sich deutsche Unternehmen in diesen Tagen nur ein bisschen mehr an den Googles und Amazons dieser Welt orientieren und so die Angst vor dem Versagen nicht größer werden lassen als den Mut, Neues zu wagen, dann sind die Erfolgschancen für die deutsche Digitalwirtschaft heute besser denn je.