Ohne Zweifel ist es eine Grundsatzfrage der Pädagogik: Freie Fragestellung versus Multiple Choice. Die Vorteile und Nachteile beider Prüfungsverfahren liegen eigentlich auf der Hand. Der zeitliche Vorteil bei der Kreuzchen-Variante geht stark zu Lasten der Möglichkeit der individuellen Bewertung. So ist es nicht nur schwierig Teilpunkte zu vergeben, auch wohlwollende Korrekturen, sofern ein Student auf der Kippe steht, sind nicht mehr drin. Sicherlich mag dies auch ein Vorteil sein, da willkürliche Bewertungen – die schwarze Seite des Wohlwollens – ebenso vermieden werden. Dennoch ist es interessant, sich einmal näher mit der Theorie des Multiple Choice auseinander zu setzen. Schnell wird klar, dass MC nicht gleich MC ist.
Die Bewertung des Multiple Choice-Verfahrens sollte dabei nicht nur unter Betrachtung der Korrektur von statten gehen. Die Fairness einer Klausur wird nicht nur durch die Notengebung ansich determiniert – auch das Schreiben der Klausur, die grundsätzlichen Voraussetzungen zum Bestehen, sollten in einem angemessenen Rahmen stehen. So ist eine Klausur, die ein Student durch Zufall bestehen kann, – denen gegenüber, die sich auf die Klausur angemessen vorbereitet haben – genauso unfair, wie eine Klausur, die ein Student auch mit Lernen nicht bestehen kann, da der Stoff nicht klar genug abgegrenzt wurde.
Beispielsweise könnte eine ausgewogene MC-Klausur, die nur eine richtige Antwort pro Frage erlaubt, keine Strafpunkte vorsieht und bei 50% richtiger Antworten bestanden ist, auch „gemeistert“ werden, indem ein Student nur einen Teil des Stoffes lernt und den restlichen Teil der Klausur durch Ankreuzen der z.B. jeweils ersten Antwort bearbeitet.
Weiterhin ist die Frage, inwiefern Strafpunkte sinnvoll sind bzw. wie stark diese gewichtet werden müssen oder dürfen, dass sie ihren tatsächlich intendierten Zweck erfüllen. Die Kombination dieser unterschiedlichen Varianten und Problematiken erfordert demnach – sofern man immernoch die zeitlichen Vorteile einer Maschinenauswertung in Anspruch nehmen möchte – genaue Planungsarbeit im Voraus.
Folgende Ãœberlegungen tun sich dabei auf:
- Zunächst: Bezüglich der Bepunktung müsste man sich fragen,
- ob es sinnvoller ist Punkte für richtige Antworten zu geben oder
- für falsche Antworten Punkte abzuziehen
- oder gar eine Kombination aus beidem?
- Was die Bewertung anbelangt (ich gehe hier von einer „bestrafenden“ Bepunktung aus), muss man sich folgende Gedanken machen:
- Soll man mehr Punkte abziehen, wenn eine Frage nicht beantwortet wurde, als wenn sie falsch beantwortet würde? Damit wäre gewährleistet, dass der Student auch wirklich alle Fragen beantwortet und demnach das komplette Wissen des Students geprüft wird, da er sich zu jeder Frage Gedanken machen und sich für eine Antwort entscheiden muss.
- Oder soll man mehr Punkte für falsche Antworten abziehen, als für nicht beantwortete Fragen? Damit wäre gewährleistet, dass ein Student eine Frage nur dann bearbeitet, wenn er sie auch wirklich beantworten kann. Einem Kreuzen nach dem Zufallsprinzip wäre damit Einhalt geboten.
- Als dritte Alternative (nun unter der Prämisse der belohnende Bepunktung) könnte man sich überlegen, ob es sinnvoll wäre, nicht beantwortete Fragen neutral zu bewerten, für richtige Antworten Punkte zu geben und falsche Antworten mit einem Punktabzug zu bestrafen. Dies hätte ebenfalls den Effekt, dass Studenten nur die Fragen beantworten, über die er tatsächlich Bescheid zu wissen glaubt.
- Was die Antwortmöglichkeiten angeht:
- Soll es nur eine richtige Antwort geben?
- Ist eine Frage nur dann richtig, wenn alle richtigen Antwortmöglichkeiten angekreuzt sind oder soll es Teilpunkte geben?
- Wie ist mit falsch angekreuzten Antwortalternativen umzugehen? Siehe Punkt 2.
Ich bin mir sicher, man könnte diesen Ãœberlegungskatalog mit Leichtigkeit noch ergänzen und vor allem hinsichtlich der Argumentationen an Weiten mehr Spitzfindigkeit walten lassen. Professoren, die jedoch auf Nummer Sicher gehen wollen, bedienen sich letztlich dann wohl doch lieber der konservativen Methodik der Korrektur freier Antworten. Somit entgeht man sowohl der Gefahr von Maschinenlesefehlern, als auch der Ungerechtigkeit, die so mancher MC-Bewertungsmodus bergen möchte.